Bisher sind viele Marketer davon ausgegangen, dass eine Werbekampagne u.a. nur dann gute Ergebnisse liefert, wenn beim Betrachter eine Hohe Aufmerksamkeit erzeugt wird. Demnach protzen viele Werbespots und Film-Trailer nur so von Action-Szenen und Sequenzen, die die Aufmerksamkeit der Betrachter nicht nur aktiviert, sondern auch voll und ganz einnimmt.

Eine hohe Aufmerksamkeit ist nicht immer von Vorteil

Allerdings zeigen Erkenntnisse aus der Neurowissenschaft, dass eine hohe Aufmerksamkeit nicht immer von Vorteil ist. Eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall: Eine zu hohe Aufmerksamkeit kann bei Betrachtern von Marketingkampagnen und Filmen dazu führen, dass die Behaltensleistung und somit das Erinnern an einzelne Ausschnitte/Elemente sinkt. Dies zeigte zumindest das Ergebnis eines Experiments, in welchem Probanden eine Anti-Raucher Kampagne betrachteten. Die Messung erfolgte mit einem fMRT sowie diversen Gedächtnistests, mit denen das Erinnern/Wiedererkennen bzw. die Behaltensleistung von Bildern, Inhalten etc. untersucht werden kann.

Der Mensch kann nur eine kleine Menge an Informationen wahrnehmen und verarbeiten

Das interessante an diesem Fund ist, dass dieses Ergebnisse eigentlich genau das widerspiegeln, was auch schon Jahrelang im Rahmen der Wissenschaft zu den Themen Aufmerksamkeit und Reizwahrnehmung kommuniziert wird: Der Mensch lebt mit einer ständigen Informationsüberflutung. Er muss die Umweltreize selektieren und kann nur eine kleine Menge an Informationseinheiten wahrnehmen und verarbeiten. Konzentriert er sich zu sehr auf eine bestimmte Sache, so gehen andere evtl. wertvolle Informationen verloren, da dass Gehirn zu beschäftigt ist, seine volle Aufmerksamkeitskapazität auszuschöpfen, um diese überhaupt zu verarbeiten und abzuspeichern.

Bestes Beispiel hier ist das Experiment von Simons & Chabris aus dem Jahr 1999.

Einer Gruppe von Versuchspersonen wird ein Film vorgespielt. Die Aufgabe der Zuschauer bestand darin, beim Anschauen eines Basketballspieles genau zu zählen, wie viele Ballwechsel es innerhalb der zwei spielenden Mannschaften gab. Mitten im Spielablauf lief deutlich sichtbar ein als Gorilla verkleideter Mensch über das Spielfeld, welcher auch noch anhielt, in die Kamera schaute und sich auf die Brust klopfte. Nur einer kleiner Teil der Versuchsperson konnte nach dem Betrachten des Films angeben, dass sie diese Besonderheiten gesehen hatten. Bei einer anderen Gruppe von Versuchspersonen, die keine besonderen Instruktionen für das Betrachten dieses Films bekommen hatten und somit ihre volle Aufmerksamkeit nicht einer bestimmten Sache widmen sollten, wurde der als Gorilla verkleidete Mensch bei allen Zuschauern wahrgenommen. Es kam an dieser Stelle somit nicht zur sogenannten “Blindheit aufgrund von Unaufmerksamkeit”.

Und was lernen wir nun daraus?

Wir lernen, dass das Gehirn bei der Ausschöpfung seiner vollen Aufmerksamkeitskapazität nicht die Möglichkeit hat, andere evtl. wichtige Informationen wahrzunehmen, zu verarbeiten und abzuspeichern. Somit sollten sich Filmemacher sowie auch die Werbeindustrie drauf konzentrieren, nicht die volle Aufmerksamkeit ihrer Betrachter abzuverlangen. Viel wichtiger ist es, sich auf die Grenzen der menschlichen Behaltensleistung zu fokussieren.

Quellen: www.neuroinsight.wordpress.com, Mangold, Roland; Informationspsychologie, S. 81-84
Quelle Titelbild: Pixabay



 
 

Über die Autorin

Autorin von ThinkNeuro! ist Olivia Shepherd. Innerhalb ihres Blogs beschäftigt sie sich mit nahezu allen Facetten des Neuromarketings, der Usability sowie der User Experience. Derzeit ist sie als Usability & UX Consultant bei einer Online-Agentur tätig.